Atelier der offenen Wahrnehmung
Hier findest du Texte, mit denen du für einige Minuten in einen Perspektivwechsel, einen inneren Dialog, bzw. in eine offene Frage eintauchen kannst.
Eine kleine Lese-Auszeit
DIE KUNST DER PAUSE
Lesezeit 3 – 4 Minuten
Wer bist du im Raum zwischen deinen Gedanken?
Ich lade Dich ein, an dieser Stelle weniger nachzudenken als du vielleicht gewohnt bist, nachzudenken.
Zum Beispiel, indem du dich behutsam tiefer in das hineinsinken lässt, was dir als Antwort entgegenkommt und möglicherweise im ersten Moment noch gar keine Worte hat.
Wie wäre es, wenn dein Körper jetzt ein Resonanzkörper sein darf, für das, was als Antwort jetzt grad auftaucht? Es kann eine Stimmung, eine Ahnung, ein Geschmack, etwas Vages sein.
In den nächsten Minuten möge sich im Spiel mit dieser Frage die Kunst der Pause ein Stück weit immer wieder auf’s Neue entfalten.
Wer bist du im Raum zwischen Deinen Gedanken?
Wir wissen, dass wir weit mehr sind, als wir denken zu sein.
Wie beziehen wir uns auf dieses Wissen? Zu was befähigt es uns?
Wie erlebst du Momente, in denen dieses Wissen aufleuchtet oder im Alltag unvermittelt durchscheint?
Sobald eine Antwort auftaucht wie „Ich bin weit … frei … hell … tief … dunkel …wild … kraftvoll“, scheint es zu stimmen und zugleich ist es nur eine Annäherung, ein Fingerzeig auf etwas, was irgendwie noch mehr oder noch anders ist. Es präzise zu benennen scheint undenkbar und doch ist es ganz HIER, ganz gegenwärtig JETZT.
Wie wäre es also, dich jetzt mit jedem Atemzug ein wenig müheloser, dem, was auftaucht anzuvertrauen?
Wer bist du im Raum zwischen Deinen Gedanken?
Die Kunst der Pause könnte darin liegen, für diesen Moment nicht wissen zu müssen, wie das gerade geht.
Nicht wissen zu müssen, wer gerade die Pause macht.
Wozu das hier jetzt gut sein soll.
Ob du das jetzt gerade richtig machst.
Nicht wissen zu müssen, wie lange das hier noch geht oder ob es jetzt genug ist.
Oder ob da noch was kommt?
Pause.
Wer bist du im Raum zwischen Deinen Gedanken?
Vielleicht bemerkst du, wie sich dein Körper ganz leicht bewegt, pulsiert oder sich nach vorne neigt oder zurücklehnt oder sich sanft wiegt.
Winzige Bewegungen, die ich im Außen kaum sehen könnte und die zugleich in deinem Inneren sich langsam und groß immer weiter auszudehnen scheinen.
Und alles Dichte, Taube, Feste, alles Angespannte, alles Unruhige, Kribbelige, vielleicht auch etwas Schmerzhaftes ist darin eingebettet.
Für diesen Augenblick muss es nicht anders sein, als es jetzt gerade ist.
Für jetzt darf es baden in dem Raum, der du bist.
Pause
Wer bist du im Raum zwischen Deinen Gedanken?
Pause
Ja … wunderbar.
Du kannst diese Pause für dich solange ausdehnen und darin verweilen, wie du möchtest.
Wenn du jetzt zum Ausklang kommen möchtest, beginne dich allmählich wieder zu orientieren, wo du gerade bist.
Hebe deinen Blick und lass ihn sanft umherschweifen.
Schau dich um und lass deinen Kopf und auch deinen ganzen Oberkörper der Bewegung folgen, während du deine Umgebung jetzt vielleicht ein wenig frischer oder weicher als zu Beginn wahrnimmst.
Welcher Impuls, welche Qualität möchten mitschwingen, wenn du jetzt wieder in dein Tun einsteigst?
WAS GESCHIEHT, WENN DU FÜR DIESEN MOMENT DEINEN ZUGRIFF LOCKERST …?
Lesezeit 2 – 3 Minuten
Den Zugriff auf das, was du gerade denkst.
Den Zugriff auf Informationen, die du vor wenigen Augenblicken aufgenommen hast.
Den Zugriff auf das, was du vor wenigen Momenten gehört oder gesagt hast.
Den Zugriff auf Bilder, die du gerade gesehen hast.
Den Zugriff auf Empfindungen, die du gerade körperlich bemerkst.
Den Zugriff auf Gefühle, die sich gerade in dir bewegen.
Den Zugriff auf alles, was du gerade bemerkst … was dich beschäftigt …
Selbst den Zugriff auf deinen Atem …. Lass ihn DICH atmen ….
Den Zugriff lockern … ohne dich von dem, was ist, abzuwenden.
Und Du bleibst hier … ohne zuzugreifen.
Wir sind es so sehr gewohnt, auf das, was wir wahrnehmen, zuzugreifen. Zum Beispiel, indem wir es abwehren „So soll es nicht sein“.
Oder es haben wollen „Es soll so bleiben“. Oder es nicht-haben wollen „So will ich das nicht“.
Oder versuchen, etwas damit zu machen „Was muß ich tun? Was mußt du tun? Was müssen wir tun?“
Was also, wenn du dieses Zugreifen, diesen Zugriff für jetzt einmal lockerst …? Was taucht in dir auf?
An Empfindung?
An Gedanken?
An Bewegungsimpulsen?
Und …. was, wenn Du auch hierauf bevorzugst, nicht zuzugreifen und zugleich ganz wach mit all diesem in Kontakt bleibst.
Gönn‘ Dir den Raum, der Du bist.
Schau‘, was von dort aus geschieht.
Und was taucht auf, wenn Du dich jetzt wieder umschaust und orientierst, wo du gerade bist.
Welcher Impuls möchte jetzt mitschwingen, wenn Du wieder in dein Tun einsteigst?
WELCHE SCHÖPFERISCHE KRAFT RUHT IM UNBEHAGEN?
Lesezeit 8 – 10 Minuten
Oder: Was haben Unbehagen und Co-Kreation miteinander zu tun?
So wie ich diese Frage stelle, gehe ich offensichtlich davon aus, dass es eine schöpferische Kraft im Unbehagen gibt.
Angenommen also, es gibt sie: wie wäre es, sie zu entdecken und herauszufinden, wozu sie gut sein könnte?
Im Unbehagen wach bleiben.
Lauschen, was sich ereignen will, während du bemerkst, dass du dich in einer Situation ganz unmittelbar nicht wohlfühlst. Die Enge bemerkst, die sich fast reflexartig einstellt.
Und jetzt bewusst eine Haltung einnimmst, in der du weder etwas Unangenehmes erduldest noch dein Erleben automatisch persönlich nimmst.
Dieser eigenen Spannungstoleranz im Unbehagen zu vertrauen, hat nichts mit Ertragen oder Aushalten zu tun. Es hat auch nichts damit zu tun, äußere Unstimmigkeiten nachgiebig zuzulassen.
Meist reagieren wir hier fast unwillkürlich mit erlernten Verhaltensmustern, die letztlich ein Abwehr- oder Fluchtimpuls sind, sobald wir uns unbehaglich fühlen.
Und diese Reaktionsmuster sind verständlich!
Wenn wir allerdings (früh) lernen mussten, dass diese gesunden Impulse zu nichts führen oder alles noch schlimmer gemacht haben, dann sind wir wahrscheinlich in einer Ohnmacht und/oder Beschämung gelandet, die heute dazu führt, einem Unbehagen sofort entfliehen zu wollen. Wir hassen es, in Situationen zu kommen, in denen wir uns unwohl fühlen, weil es bis heute so scheint, dass wir unfähig seien, sie zu bewältigen.
Innerhalb von Millisekunden erinnert sich unser Körper daran, Lebendigkeit in diesen Situationen besser wegzudrücken. Auch Lebendigkeit, die in Protest, Wut, Angst, Leere oder Taubheit und sogar in Orientierungsverlust oder Überforderung pulsiert.
Es geschieht in unserem erwachsenen Sein also gar nicht so selten, dass wir mit gespeicherten, emotionalen Ladungen von damals auf eine Situation in der Gegenwart reagieren.
Das kann sich zum Beispiel zeigen, wenn du eine Irritation unmittelbar in einer Begrüßung bemerkst.
Oder eine Spannung spürst, die sich während eines Gesprächs beim Essen mit Freunden aufbaut.
Oder eine Ladung, die du während eines Meetings bemerkst, während du an einem Entscheidungsprozess beteiligt bist, der deiner Vorstellung entgegenläuft.
Oder wenn dir in einem online-Termin auffällt, dass dir reale, physische Begegnung fehlt, und dieses Bemerken etwas in dir auslöst.
Oder wenn du dich an eine Situation erinnerst und augenblicklich merkst, wie sich deine Verfassung verengt, verdichtet oder anspannt.
Ich kenne noch einige weitere Beispiele aus eigener Erfahrung und vermute, auch du wirst sicherlich noch einige weitere Beispiele für dich kennen.
Was will jetzt gerade werden?
Eine Möglichkeit kann jetzt sein, sowohl die spontanen Abwehr- oder Fluchtimpulse als auch die erlernten und in deinem Körper gespeicherten Reaktionsmuster wach mitzubekommen, sie für ein, zwei Atemzüge da sein zu lassen und ihnen sogar ein kleines bisschen mehr Raum in dir zu geben, ohne sie ein- oder auszuagieren.
Du bleibst also für einen Moment mit ihnen wach und interessiert, um dann den Blick zu heben, dich zu orientieren und zu schauen, was ist HIER gerade noch da?
Interessiert über die vertrauten Reaktionsgewohnheiten hinaus mit deiner wachen körperlichen (!) Präsenz nach etwas anderem Ausschau halten – mitten im Moment von Unbehagen. Die eigene Aufmerksamkeit auf das zu verlagern, was sich in diesem gegenwärtigen Moment ereignen will, was gerade in diesem Moment im Entstehen ist.
Und worauf dich das Unbehagen möglicherweise hinweist, weil das, was im Entstehen ist, eben noch nicht ganz fertig ist und so ganz anders als werden will als das, was es bisher war.
Die offene Frage „Was will jetzt gerade werden?“ kann dich einladen, frei von der oft reflexhaften inneren Antwort „Ist doch klar, worauf das hier hinausläuft!!“ neugierig zu bleiben.
Du musst dich auch nicht ausklinken oder die Situation von außen beobachten – du kannst ausprobieren, ganz hier und teilhabend wach im gegenwärtigen Geschehen zu bleiben.
Das ist etwas, was du als heutiger erwachsener Mensch im Unterschied zu dem Kind, das du warst, tatsächlich kannst, weil du heute zum Beispiel über ein wesentlich tragfähigeres Nervensystem und eine sichere Verbundenheit in dir selbst verfügst (auch wenn es sich erstmal nicht so anfühlt).
Deine erwachsene Spannungstoleranz kann ein lebendiges Vibrieren im Unbehagen sein, eine wache Präsenz im gegenwärtigen Augenblick oder ein tiefer, unendlicher Atemzug, der über den körperlichen Atem hinauszugehen scheint, oder eine interessierte Wachheit, ohne alarmiert zu sein. Du wechselst also eher in eine Empfangsbereitschaft, ohne dich selbst zu verlassen.
Im Unbehagen wach zu bleiben, ist eine Kunst.
Und wenn dies nur für einen winzigen Moment gelingt … Wie kostbar kann dieser winzige Moment sein und welchen Unterschied kann er machen!
Und was, wenn diese schöpferische Kraft im Unbehagen ruht.
Also nicht impulsiv sofort herausbrechen muss. Sie kann das, denn sie hat diese impulsive Seite … und jetzt ruht sie.
Vielleicht reift sie.
Vielleicht wächst sie an.
Vielleicht sammelt sie sich.
Vielleicht sortiert sie etwas neu und kreiert neue Zusammenhänge.
Vielleicht nimmt sie wahr, was im gegenwärtigen Augenblick geschieht, und gebiert etwas Neues, was bis jetzt noch nie da war.
Und all das, indem du die Spannung unbehaglich sein lässt und die schöpferische Kraft darin hütest, ohne dass du in diesem Moment weißt, wohin es geht. Ihr lauschst. Sie sich entfalten lässt, bis ein klarer Impuls aufsteigt, der in ihr wurzelt.
Oder du bemerkst, dass einfach „nichts“ auftaucht.
Wie wäre es, an dieser Stelle auszuprobieren, auf die Erwartung zu verzichten, dass etwas in dir auftauchen muss, was diese Situation für dich oder alle Anwesenden angenehmer macht?
Co-Kreation
Dieser klare Impuls kann also in dir aufsteigen und du bringst ihn in das gegenwärtige Geschehen ein oder – und das ist ein echtes Mysterium – er taucht zwischen dir und deinem Gegenüber auf, ohne dass du oder jemand ihn „macht“, und es spielt keine Rolle, wer von euch diesen Impuls ausspricht.
Eine Eigenart dieses Impulses könnte sein, dass du ihn als zutiefst sinnvoll empfindest, ohne klar sagen zu können, warum. Es entsteht jedoch in dir und allen Anwesenden augenblicklich eine Wachheit, Ruhe, Staunen, die jeder bemerkt.
Und das Spannende kann sein, dass auf diese Weise eine echte Innovation, ein echtes Noch-nie-Dagewesenes hervortritt, was ohne diese Enge des Unbehagens nicht hätte geschehen können. Und dies geschieht co-kreativ durch alle Beteiligten mitten im gegenwärtigen Augenblick.
Ich wünsche dir viel Freude beim Entdecken von etwas Neuem in den nächsten Momenten von Unbehagen (denn sie kommen bestimmt).
Und ich bin gerne da, wenn du deine Erfahrungen und Wahrnehmungsmuster dazu näher erkunden magst und Lust hast, mehr Spannungstoleranz und echte Co-Kreation in dein Leben einzuladen.
Und jetzt?
Möchtest du dieser Spur weiter folgen und bist neugierig auf das, was sich hier beim Lesen ganz fein zu zeigen beginnt? Im körper- & erkenntnissorientieren Dialog halte ich dir den Raum, deiner Spur weiter zu folgen, Verdichtungen zu lösen und dir Wesentliches in Bewegung zu setzen.
Herzlich, Marietta